Erschießung eines Gorillas in den USA löst Grundsatzdebatte über Zoos aus. Der folgende Kommentar von Nicolas Entrup, erschien heute, 16.6.2016, in der Tageszeitung Die Presse.

Ende Mai wurde Harambe, ein männlicher Gorilla, vom Personal des Tiergartens im amerikanischen Cincinnati erschossen, nachdem ein vierjähriger, unbeaufsichtigter Bub in das Gehege der Menschenaffengruppe geklettert war. Die Erschießung des Silberrückens (adulter männlicher Gorilla) sorgte nicht nur in sozialen Netzwerken für heftige Reaktionen. Vielerorts wurde der Ruf nach einer Grundsatzdebatte über Zoos laut. Und das zu Recht.

Experten, die Gorillas seit Jahren in freier Wildbahn beobachten, haben das verfügbare Videomaterial analysiert und Verständnis für die Schwierigkeit gezeigt, in so einer Situation rasch und richtig zu handeln. Harambes schiere Kraft hätte den Jungen folgenschwer verletzen können. Die Sicherheit des Kindes musste gewährleistet werden. Doch das verfügbare Videomaterial zwingt zu der Frage, ob nicht auch andere Maßnahmen möglich gewesen wären, denn Harambe zeigte eher behütendes Verhalten als Aggression.

Zugleich ist der Vorfall Zeitdokument einer absolut widrigen Begegnungsweise zwischen Wildtier und Mensch. Harambe ist jeden Tag den Blicken Hunderter Augenpaare, lauten Zurufen, Gekreische und in das Gehege geworfenen Essensteilen ausgesetzt. Sein Aktionsradius ist drastisch eingeengt, ein vollständiges Zurückziehen nicht möglich. Wie der Vorfall weiters zeigt, ist der Besucher kaum aufgeklärt und uninformiert, seine Beziehung zum beobachteten „Objekt“ ist eindimensional.

Begegnung in freier Wildbahn

Vergleichen wir dies mit der Form der Begegnung mit einem Gorilla in freier Wildbahn, für die Menschen, die nach Zentralafrika reisen, viel Geld zahlen. Man erhält eine Einschulung, darf keine infektiöse Krankheit haben (ein Schnupfen wäre für den Gorilla tödlich), muss sich respektvoll verhalten und den Anweisungen der Experten Folge leisten. Kurz gesagt: Man erfährt viel über Gorillas und über ihren Lebensraum, gleichzeitig aber auch über den notwendigen Respekt, den es aufzubringen gilt, um diesen Tieren zu begegnen und sie zu schützen.

Orca-Zucht wird eingestellt

Zweifellos ist die Begegnung und vor allem die Beziehung Mensch-Tier nicht nur wichtig, sondern auch bereichernd. Teure Reisen zu seltenen Arten aber sind kein breitentaugliches Konzept. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob es im 21. Jahrhundert legitim ist, Arten, die hoch entwickelt sind, deren Aktionsradius groß und deren Sozialverhalten komplex ist, weiterhin in Gefangenschaft zu halten.

Die Forderung nach Anerkennung von Tieren als „eine nicht menschliche Person“ ist nicht neu und gewinnt gerade in akademischen Kreisen an Unterstützung. Bereits 2010 entwickelten Experten die Deklaration für die Rechte von Walen und Delfinen, die dem Konzept der Gefangenschaftshaltung eine klare Absage erteilt.

Zuletzt überraschte der Vergnügungspark-Konzern Sea World mit der Ankündigung für Aufsehen, die Zucht von Orcas einzustellen und die Haltung dieser größten Delfinart auslaufen zu lassen. Grund: der Wertewandel in der Gesellschaft. Daher ist eine Debatte, wie das Konzept Zoo im 21. Jahrhundert auszusehen hat, von gesellschafts- und umweltpolitischer Bedeutung.

Das bedeutet kein Ende des Zoos, sondern ein Umdenken, das auf folgende Fragen fokussiert: Welche Tiere kann man halten, ohne deren Bedürfnisse einzuschränken? Wann ist eine Haltung tiergerecht? Welches Ziel wird mit der Haltung und Zurschaustellung verfolgt? Menschenaffen, Waltiere und Elefanten sollten sich dann auf jener Liste finden, deren Haltung der Vergangenheit angehört.

Nicolas Entrup (*1972 in Wien) ist seit 25 Jahren im internationalen Tier- und Artenschutz tätig.

Link zum Artikel in Die Presse